Berlin wird oft als eines der Zentren des zeitgenössischen Tanzes und der Performancekunst in Europa beschrieben. Es gibt zahlreiche Produktions-und Spielstätten, die von etablierten Orten wie beispielweise Tanzfabrik, Dock 11, Radialsystem, Sophiensäle und Uferstudios, bis hin zu kleineren und unabhängigen Räumen reichen. Die Tanzfabrik gehört zu den alteingesessenen Institutionen. Seit 1978 wird die Tanzfabrik in Kreuzberg als Produktions-, Schul- und Präsentationsort für zeitgenössischen Tanz genutzt. Mit der Eröffnung der Uferstudios in Wedding kamen 2010 zwei weitere Studios dazu. Die Tanzfabrik versteht ihr zentrales Anliegen in der Förderung, Präsentation und Vermittlung des zeitgenössischen Tanzes und möchte so zu einer „…produktiven und kreativen Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper und seiner Rolle in den Gesellschaften der Gegenwart…“ anregen.
Im Rahmen des dreimal jährlich stattfindenden Festivals „open-spaces“ wurde Anfang des Jahres die einwöchige Residenz „Tea-Time- Decolonizing Performance“, ausschließlich für Tänzer*innen of Color, angeboten. Die Residenz beinhaltete die kollektive Nutzung eines Proberaumes für eine Woche und schloss mit einem öffentlichen Showing ab. Zusätzlich bot ein Diskussionsabend, moderiert von Jessica Lauren Elizabeth Taylor von der Initiative „Black in Berlin“, die Möglichkeit, Überlegungen zur gegenwärtigen Rolle rassifizierter Kunstschaffenden anzuregen. Im Vordergrund des Abends standen Fragen der sozialen Gerechtigkeit und der Zugänglichkeit institutionalisierten (Tanz-)Räume. Und auch Fragen danach, ob die Arbeiten von Künstler*innen of Color immer auch eine politische Dimension inhärent haben.
Wie kam es zu diesem Projekt? Welche vorherigen Schritte waren für die Realisierung notwendig und welche Möglichkeiten hat „Tea Time“ erschlossen?
Zwoisy Mears-Clarke und Sarah Bouars sind zwei in Berlin lebende Künstler*innen. Zwoisy versteht sich als Choreograf der Begegnungen. Seine eigene Migrationsbiographie – die ihn mit 13 Jahren von Jamaika in die USA und mit 21 von den USA nach Deutschland brachte – fließt in sein künstlerisches Handeln mit ein. So versucht Zwoisy im Tanz Kontexte zu erschaffen, die die alltägliche Nötigung durch Rassismus, kolonialer Nostalgie, Nationalismus und Vorurteilen pausieren lassen. Sarah Bouars ist eine tunesisch-deutsche Tänzer*in/Performer*in. Sarah’s diversen Arbeiten setzen sich u.a. mit Darstellungen queerer Identitäten auseinander und fordern normierte Vorstellungen von Weiblichkeit und sexuellen Wünschen heraus.
„Tea-Time“ wurde von Zwoisy und Sarah initiiert, nachdem beide an einer einwöchigen Residenz, „Color Block“, im Sommer 2016 in Brandenburg teilgenommen haben. Auch diese Residenz, die auf dem Gut Stolzenhagen/Ponderosa stattfand, war ausschließlich für Künstler*innen of Color vorgesehen und hat den Schwerpunkt auf die Verlinkung interdisziplinäres Kreieren, Experimentieren, Improvisieren und Aktivismus gelegt. Zwoisy beschrieb zudem auch eine Situation, in der er sich in einer Bewerbung für ein Projekt wiederfand: Da er mehrheitlich Tänzer*innen of Color für das Projekt suchte, schrieb er alle Personen auf, die ihm innerhalb 5 Minuten einfielen. In diesen 5 Minuten kam Zwoisy nur auf 6 Tänzer*innen. Im Gegensatz zu ungefähr 40 weiß positionierte Tänzer*innen, die im sofort einfielen. Die Idee war, durch „Tea Time“ Vernetzungsmöglichkeiten zu schaffen, im Idealfall neue Bekanntschaften mit Tänzer*innen of Color zu machen und eine temporäre BPOC-zentrierte, tänzerische und künstlerische Gemeinschaft zu gestalten:
„Mein Wunsch war, dass die Leute, die daran teilnahmen, sich weniger alleine fühlten oder das Gefühl hatten, dass sie als professionelle Tänzer*innen einen größeren Pool an Unterstützung nach der Residenz hätten, wenn wir alle zurück in die (auf allen Ebenen) weiß dominierte Tanzszene gehen würden. Ein weiterer Wunsch, aber keine Notwendigkeit war, dass potentielle künstlerische Kollaborationen jeglicher Art daraus hervorgehen könnten.“ (übersetzt aus dem englischen)
Der Inhalt der Woche wurde mit den Wünschen der Teilnehmer*innen gefüllt: Alle in der Gruppe konnten immer Aktivitäten, Übungen und Praktiken anbieten. Falls die vorgeschlagene Aktivität nicht für die ganze Gruppe war, war wichtig zu verstehen, dass Raum und Zeit mit den Anderen geteilt werden musste. Zwoisy beschrieb, dass öfters eine Bewegungsübung praktiziert wurde, die zu einer anschließenden Diskussion führte, die wiederum den Weg und die Ideen für darauffolgende, spontane Aktivitäten ebnete. Alle im Raum sollten die Möglichkeit bekommen Fragen zu stellen, Diskussionen anzuregen oder ihre persönlichen Erfahrungen zu teilen.
Ein besonderer Aspekt der Residenz war das Zusammenkommen, sich kennen zulernen und Netzwerken in einem BPOC-zentrierten Raum. "Ein Raum der ausschließlich für Personen/ Tänzer*innen of Color bestimmt ist, ist etwas Besonderes im Berliner Kontext ... und bot noch so viel mehr: die Möglichkeit Ideen zu teilen, sich gegenseitig wahrzunehmen, einander Raum zu geben, gemeinsam künstlerische Praktiken auszuprobieren und zu diskutieren." Dabei wurden beispielsweise theoretische Diskussionen zum Thema Entkolonialisierung angeregt, oder die Frage gestellt, wie sich Post-Kolonialismus als Trend auf ihre Körper, ihre Arbeit, ihre Identität und Arbeit im Allgemeinen auswirkt.
„Tea-time“ war die einzige Produktion die sich während des Festivals einer post-kolonialen Auseinandersetzung mit künstlerischer Tätigkeiten widmete. Denn obwohl eventuell in der subjektiven Wahrnehmung mehr und mehr Tänzer*innen of Color performative Arbeit zeigen können und Post-Koloniale Theorie auch auf den Bühnen präsenter wird: Der Rahmen des zeitgenössischen Tanzes ist weiß definiert, geht von einer weißen Betrachtung auf Körper und Tanz aus, benennt normiertes Wissen und die Weitervermittlung dieses Wissens.
Denn wie wird, nicht nur in Berlin, sondern eigentlich auf allen programmatischen Ebenen des zeitgenössischen Tanzes, entschieden, wer mit welcher Technik/Methode/Stil, die unfassbar große Kategorie des zeitgenössischen Tanzes repräsentieren darf? (dieser Artikel setzt sich beispielsweise mit "Impulstanz" in Wien auseinander)
Dass die zeitgenössische Tanz -und Performanceszene in Berlin meist weiß dominiert ist, wurde auch während der Diskussionsrunde erkenntlich: Ein Mitarbeiter der Tanzfabrik, erzählte uns im Gespräch, wie bewusst ihm das unübliche, umgedrehte Puplikumsverhältnis während dieses Abends war, denn er war als weißer Mann in der Minderheit. So wurde ersichtlich, dass selten ein BPOC-dominierter Raum aufgemacht wird, dieser jedoch wichtig ist, um in diesem Raum, Themen, ob persönlicher und_oder politischer Art, Platz zu geben.
Und in dem Personen, die nicht alltäglichem Rassismus ausgesetzt sind, aufgefordert werden, auch einmal „einfach nur zuzuhören”.
In dem Gespräch mit ihm wurde auch der Gedanke angesprochen, dass weiße Positionen und die damit einhergehenden Privilegien, sowie das weiß-sein der meisten Institutionen nicht näher hinterfragt wird und daher schlicht unbenannt bleibt. Mit dem Begriff der weißen Institution wollen wir hinterfragen und dadurch deutlich machen, wer in den wichtigen Entscheidungsmächtigen Positionen sitzt: Welches „Wissen“ wird anerkannt und wie wird es vermittelt? Wen und wie spricht die Institution an? Welche Performance wird als sehenswert betrachtet, mit welchen Blick wird dies entschieden? Aber auch, für wen wird produziert, wer soll angesprochen werden?
„In einem Bereich, in dem die Ästhetik Teil unseres Handwerks ist, gibt es keine Möglichkeit, zu reduzieren, was ein*e Künstler*in of Color, für die Bühne, zum Beispiel für die Interpretation der Bewegung, tut. Nur BPOC sind Expert*innen auf diesem Gebiet. Wie ordnen wir uns (sowohl privat und als auch beruflich...) in den gegenwärtigen Trend des Post-Kolonialismus ein, wenn weiße Europäer*innen (Menschen außerhalb der Erzählung des Kolonialismus) bei diesem Thema mitlaufen. Diejenigen Künstler*innen, die persönlich durch ihr Erbe mit der Erzählung des Kolonialismus in Verbindung stehen, sind die Expert*innen. Ich bin glücklich, dass ich diese wundervollen Leute getroffen habe, ihre Kunst kennenlernen konnte und jetzt ein größeres Netzwerk an Unterstützung habe.“ (Zwoisy, übersetzt aus dem englischen)
Hintergrundinformationen: Luca Terschüren und Diana Thielen sind Studentinnen* der Geschlechterforschung und Erziehungswissenschaften an der Humboldt Universität zu Berlin. Im Rahmen des Seminars „Subkulturellem Wissen auf der Spur“ wurden Strategien der Wissensvermittlungen aus marginalisierter Positionen untersucht und in den Fokus gerückt.
Folgende Fragen haben das Seminar begleitet: Von welchem Wissen wird ausgegangen? Welche Vorstellungen von Wissen gibt es und welche Funktionen hält Wissen inne? Wie wird Wissen generiert und vermittelt? Aus welchen Erfahrungen heraus definiert sich eine Gruppe als ungehört? Warum wird manches Wissen als beachtenswert geachtet und andere Wissenskategorien nicht anerkannt? Was ist subalternes Wissen? Wer spricht, wer hört zu, wer vermittelt, entscheidet und unterstützt?
Sowohl Diana als auch Luca, sowie die kleine Gruppe der Teilnehmer*innen inklusive der Dozentin* Claire Chauvet, forschen, fragen und begleiten die Fragestellung aus einer weißen Perspektive. Texte von Wissenschaftler*innen die uns in der eigenen hegemonialen Position hinterfragen und uns auffordern unseren bisherigen Wissenskanon zu reflektieren, sind u.a. von Gayatri Spivak, Tuhiwai Smith und Michel Foucault.
Diana ist Tänzerin und unterrichtet in der Tanzfabrik Kreuzberg einen fortlaufenden Abendkurs im zeitgenössischen Tanz. Luca kam bisher nur wenig in Berührung mit Tanz, ist jedoch an einer feministischen Auseinandersetzung der Darstellung diverser Körperlichkeiten interessiert und setzt sich damit auseinander, wie sich „Wissen, z.B. in Form des heteronormativen- Wissenskanons in Körper einschreibt, diese formt und einengt.
Für diesen Blogpost haben wir ein (schriftliches) Interview mit Zwoisy Mears-Clarke geführt, der gemeinsam mit Sarah Bouars die Residenz initiiert hat. Wir konnte uns auch einmal mit ihm treffen um noch weitere Erfahrungen mit in diesem Bericht einfließen zu lassen und haben uns zusätzlich mit einem Mitarbeiter des Produktionsbüros der Tanzfabrik Wedding unterhalten.
online links:
http://www.taz.de/!5289415/ (Grada Kilomba about decolonizing knowledge)
Bibliographie:
Smith, T., “Decolonizing Methodologies”, 2005
Foucault,M., “ Die Ordnung des Diskurses”, 1970
Spivak, G., “Can the subaltern speak?”, 2008
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